Tango-Lyrik

 

Auch die Tango-Texte wurden anfangs improvisiert. Aus der Entstehungsphase ist oftmals nur bekannt, dass es sich um (untertrieben gesagt) obszöne Texte handelte. Die Existenz dieser Texte schiebt den Tango vor 1900 in die Bordell-Ecke. In Wahrheit existierten parallel dazu aber auch Texte mit zeitgenössischen Beschreibungen. Hier prahlten die Compadritos über ihr Glück bei den Frauen und ihr Geschick beim Tango-Tanzen. Einer der bedeutendsten Textdichter dieser Zeit war Angel Gregorio Villoldo, der auch als einer der ersten den Tango nach Europa brachte.

Ab 1910 beherrschte ein Dialekt der Unterwelt die Straße, der sog. Lunfardo. Es dauerte nicht lange, bis sich diese Sprache der Ganovenzunft der Vorstadt auch im Tango wiederfand. Die Tangodichter erweiterten den Wortschatz durch eigene Wortschöpfungen. Lunfardo wurde als "literarischer Witz der Tangodichter" bezeichnet. Die Einwanderer übernahmen einige dieser Sprachschöpfungen in ihren Wortschatz.

Trotz allem waren die Texte bis dato nur Beiwerk, der Tango war in erster Linie Tanzmusik. Das änderte sich etwa ab 1917. Gesang und Dichtung prägten den 'Tango Canción', der neue Star war Carlos Gardel. Mit Gardel wurde der Tango langsamer und veränderte seinen Charakter. Jetzt passte er zu den traurigen Worten, die die Tangodichter von nun an ihren Helden in den Mund legten. Stark thematisiert wurde auch das Elend der Vorstadt, z.B. von Celedonia Esteban Flores in den 20er und 30er Jahren.

Einer der bedeutensten Tango-Schreiber der 30er Jahre war Enrique Santos Discépolo. Seine Texte gehörten zu den scharfsinnigsten und bittersten Stücken der Tangopoesie. Von ihm stammt der so oft zitierte Satz vom 'traurigen Gedanken, den man tanzen kann'. Seine Werke waren oft umstritten, vor allem wegen seiner deutlichen Parteinahme für den Peronismus.

Über fünf Jahrzehnte prägte Enrique Cadícamo die poetische Entwicklung des Tangos mit. Man sagt, er sei der wohl am meisten interpretierte Textdichter des Rio de la Plata überhaupt. Er schrieb über Sehnsucht, verflossene Liebe und Alkohol. Man nannte ihn einen 'Poeten für verregnete Nächte'. Ebenso bedeutungsvoll für die Goldene Ära war Homero Manzi. Mit 'Viejo Ciego', seinem ersten großen Erfolg, begann eine neue Art des Tango-Liedes. Manzi entdeckte die Stadt jenseits typischer Tango-Klischees. Obwohl Manzi selbst Lunfardo sprach, textete er nicht in diesem Slang. Er verstand sich als Poet, nicht als Texter.

In den 60er und 70er Jahren durchlebte der Tango eine Krise. Für die Jugend war es Musik und Poesie der Großeltern, und tatsächlich, die Texte wurden nicht besser. Dass der Tango überlebte, verdankte er denen, die ihn weiterentwickelt haben. Einer von ihnen ist Horacio Ferrer, der u.a. viel mit dem Erneuerer schlechthin, Astor Piazzolla, zusammenarbeitete. Ferrer wird sogar als der 'große Revolutionär und Erneuerer der Tango-Poesie' bezeichnet. Mit 'Maria de Buenos Aires' entstand eine ganze Tango-Oper, weitere Meilensteine sind 'Chiquilín de Bachín' und 'Balada para un loco'. Auch den Lunfardo hat er um einige witzige Wortkreationen erweitert.

Jorge Luís Borges, einer der großen argentinischen Schriftsteller, befasste sich zum Anfang und zum Ende seiner literarischen Karriere mit dem Tango. Borges galt zwar als moderner Dichter, bezogen auf den Tango lehnte er aber die ganze Entwicklung ab und orientierte sich stark an der Vergangenheit. Borges faszinierten die Compadritos, die großmäuligen Männer der Vorstadt, die sich über den 'Kult des Mutes und der Messer' definierten. Allerdings beschrieb er die Compadritos nicht immer so, wie sie wirklich waren. In den Versen zu 'Alguien le dice al Tango' ist er sich aber selbst untreu geworden und behandelte in der letzten Strophe auch mal den traurigen Tango.