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Die Entstehung des Tangos
1880 am Rio de la Plata. Auf der Suche nach Brot und Arbeit landen Hunderttausende Immigranten aus Spanien und Italien im Hafen von Buenos Aires. Die Reise ins ferne Glück endet für die meisten in Mietskasernen und tristen Vorstädten. Die Boca, das alte Hafenviertel, wird zu Schmelztiegel der Nationen. Hier treffen die Gringos aus Europa auf die porteños, die Einheimischen. Und aus dem Landesinneren, der Pampa Argentiniens, drängen die Gauchos in die Vorstädte. Buenos Aires wird zur Metropole der Entwurzelten.
Und mit den Identitäten verschmilzt auch die Musik - da ist die Milonga der Gauchos, die Habanera der karibischen Seeleute, der Candombe der Kreolen und natürlich die Volksmusik der Einwanderer. Einsamkeit, Heimweh und die Sehnsucht nach Liebe destillieren zur Musik des Arrabal, der Vorstadt. Der Tango ist geboren.
An den Straßenecken der Boca, in den Lichtkegel der Laternen, treffen sich die Männer abends zum Tango und sie tanzen ihn zusammen, denn Buenos Aires ist eine Stadt ohne Frauen. Auf sechs Männer kommt eine Frau. Gewiefte Luden machen sich den Frauenmangel zu Nutze, die polnischen Zuhälter organisieren sich sogar in einer Gewerkschaft, als jüdische Hilfsorganisation getarnt. Mit fingierten Hochzeiten locken sie junge Mädchen an den Rio de la plata. Ihre Organisation unterhält in Buenos Aires mehr als 2000 Bordelle, in denen 30000 Frauen arbeiten.
Die mittellosen Einwanderer zieht es aber eher in illegale Bordelle in den Hinterzimmern der Mietskasernen. Mulattinnen und Mestizinnen laden hier zu Tanz, Gesang und käuflicher Liebe. Zur Gitarre improvisieren sie obszöne Texte und für die Länge eines Tanzes vergessen die Männer ihr Heimweh und die Sehnsucht nach Liebe. Von Anfang an sind Eros und Melancholie untrennbar im Tango vereint.
1868 geht der schwedische Frachter Landskrona in Buenos Aires vor Anker. An Bord sind auch zwei deutsche Matrosen. Ihr Zug durch die Bordelle endet nach drei Tagen und drei Nächten mit Schulden und dickem Kopf in irgendeiner Spelunke. Notgedrungen nimmt der Wirt das kastenförmige Ding in Zahlung, das ihm die beiden als Pfand bieten. Er verkauft es an einen Mulatten weiter und aus dem Bandonion, einem deutschen Knopf-Akkordeon mit eigenwiliger Stimmung, wird das bandonéon - der Tango findet seine Seele.
Der Held der Vorstadt ist der Compadre, stolz wie ein Gaucho, gerissen wie ein sizilianischer Verbrecher. Die kleinere Ausgabe des Compadre ist der Compadrito, Macho und Gelegenheits-Zuhälter, Raufbold, Tagedieb und Lebenskünstler. Eitel, selbstverliebt und leidenschaftlich. Er beherrscht den Tango so gut wie das Messerduell. In den Tango-Cafés messen sich die Compadritos im tanz, erfinden immer neue, immer ausgefallenere Figuren, um den Mädchen zu imponieren.
Die Oberschicht verachtet
den Tanz der Vorstadt, entrüstet sich über die enge Tanzhaltung und die obszönen Figuren, brandmarkt den Tango als "Bordellreptil". Der Tanz unter Männern wird 1916 sogar per Dekret verboten, doch die Söhne aus gutem Haus zieht es immer öfter in die Tango-Bars und die Bordelle des Arrabal. Geschützt durch den Reichtum ihrer Eltern zetteln sie Schlägereien an, spannen den Compadritos die Mädchen aus und nach und nach verwandeln sich die alten Tanzlokale in luxuriöse Cabarets. Die Prostituierten kommen jetzt direkt aus Paris und den Tango tanzt man jetzt gezähmt.
So startet der Tanz der Vorstadt um 1920 den Siegeszug durch die vornehmen Salons, erobert Paris und Hollywood im Sturm und wird zum Sinnbild getanzter Leidenschaft ...
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